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Wetter aktuell

Ein gestörter Polarwirbel ist nicht alles



Im heutigen Thema des Tages werden einige treibende Kräfte dieses
Winters betrachtet. Zudem soll ein kleiner Einblick in die
Komplexität des notwendigen Zusammenspiels verschiedener Parameter
gegeben werden, um wenigstens ansatzweise eine Trendabschätzung der
weiteren Entwicklung geben zu können.



Wie so oft zu dieser Jahreszeit richten einige Meteorologen ihre
Blicke nach oben. ?Nichts Ungewöhnliches!? möchten Sie sagen? Das
stimmt! Gemeint ist aber ?ganz weit nach oben?. Im Mittelpunkt
stehen die Stratosphäre und besonders der sich alljährlich zur
Winterzeit etablierende Polarwirbel. Leider wird dessen Intensität
(und besonders seine Schwächephase) jedes Jahr immer wieder in
diversen Presseartikeln mit unweigerlich drohenden Schneestürmen und
klirrender Kälte in Verbindung gebracht. Doch ist das alles auch
wirklich so einfach?

Zunächst stellen wir einige treibende Kräfte vor, betrachten deren
Istzustand sowie ihre weitere Entwicklung im subsaisonalen
Vorhersagebereich - also drei bis sechs Wochen in der Zukunft. Dies
ist nur ein flüchtiger Blick in die Thematik der subsaisonalen
Vorhersage und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Dennoch
dürfte dieser oberflächliche Blick die Komplexität des Themas bereits
hervorheben.

Polarwirbel in der Stratosphäre [englisch: stratospheric polar vortex
(SPV)]:
Erklärung: siehe ?Weitere Informationen zum Thema?

In Bild_1 zeigt die dicke blaue Linie das Mittel des Ensembles vom
ECMWF (IFS-ENS) sowie in rot das Mittel der Hintergrundklimatologie
des Modells. Dem SPV steht zum Ende dieses Novembers also eine
erhebliche Abschwächung bevor, die durch planetare Wellen angetrieben
wird. Diese brechen sich in der Stratosphäre (wie Wellen am Strand)
und schwächen den aus westlicher Richtung wehenden Polarwirbel mit
der Zeit ab. Die Abschwächung erfolgt umso effektiver, je länger
diese Störungen andauern. Dies geht teilweise bis hin zur Windumkehr
eines ?major warmings?, wobei die Wahrscheinlichkeit einer Windumkehr
bei diesem Ereignis mittlerweile etwas zurückgegangen ist. Eine
schöne Skizze diesbezüglich wurde von den Kollegen der NOAA erstellt.


Die Vorhersage des ECMWF deutet in der Folge eine sukzessive
Regeneration des SPV an, allerdings bis auf Weiteres unter dem
Klimamittel verlaufend, was auf einen vorerst noch schwächelnden
Polarwirbel hindeutet. Das amerikanische Wettermodell der NOAA hebt
aus heutiger Sicht gar eine noch länger anhaltende und kräftigere
Schwächephase des SPV bis weit in den Dezember hervor. Wie sich im
Verlauf der kommenden Wochen die störenden Einflüsse aus der
Troposphäre auf den SPV auswirken ist noch sehr unsicher und wird
innerhalb der Numerik nur schwer erfasst. Daher sind weitere
Überraschungen bezüglich der Intensität des SPV innerhalb der
kommenden Wochen nicht ausgeschlossen.

Polarwirbel in der Troposphäre [englisch: tropospheric polar vortex
(TPV)]:
Erklärung der zweideutigen Bedeutung dieses Begriffs: siehe ?Weitere
Informationen zum Thema?

Der TPV besteht im Gegensatz zum SPV nicht aus einem
zusammenhängenden Starkwindband, sondern setzt sich eher aus
unterschiedlich großen planetaren Wellen mit variabler Anzahl
zusammen (mit Blick auf die Nordhemisphäre). Diese Wellen verlagern
sich (oder auch nicht) entlang des Jet streams (bzw. ?wave guide?)
und heben ein deutlich variableres Verhalten im Vergleich zum SPV
hervor.

Wichtig ist, dass bei einer Veränderung des SPV die Erwärmung aus der
oberen Stratosphäre auch in Richtung Troposphäre gebracht wird, was
jedoch bei Weitem nicht immer gewährleistet ist. Einem schwachen SPV
kann ein kräftiger TPV und umgekehrt gegenüberstehen. Dieser
Informationstransfer steht weiter im Fokus der Forschung. Aktuell
deuten die Vorhersagen an, dass die Erwärmung inklusiver einer
Windabschwächung recht zügig in Richtung untere Stratosphäre
vorankommen könnte, was besonders bei einem ?major warming? der Fall
wäre. Diese Entwicklung birgt aktuell das größte Potenzial für kalte
Überraschungen im Bereich der subsaisonalen Vorhersage.

Quasi-Biennial Oszillation (QBO):
Erklärung: siehe ?Weitere Informationen zum Thema?

Statistisch gesehen wirkt sich die periodisch wechselnde und sich nun
in der östlichen Phase befindende QBO abschwächend auf den SPV aus,
was wiederum die Wahrscheinlichkeit für gestörte Phasen des SPV im
Verlauf dieses Winters grundsätzlich erhöht.

Beim Blick auf die Anomalien der Wasseroberflächentemperaturen rund
um Europa fallen beinahe durchweg positiven Anomaliewerte von 0.5 bis
2, lokal bis über 3 Kelvin ins Auge. Arktische Luftmassen, die nun
südwärts über diese Wasserflächen geführt werden, können wenigstens
in den unteren Bereichen stark modifiziert (sprich: erwärmt) werden.
Bei einer aktuell unter dem Interdezilbereich (also zwischen dem 10.
und 90. Perzentil der Datenmenge) verlaufenden Meereisverteilung ist
auch ausreichend Meeresoberfläche für eine nachhaltige thermische
Änderung der einst so eisigen Luftmasse vorhanden. Erschwerend kommt
hinzu, dass sich die positiven Anomalien der Wassertemperaturen z.B.
auf die regionale Druckverteilung, Aktivität der Konvektion, Lage und
Intensität der Jets etc. auswirken können. Dies sät weitere
Unsicherheiten in ansonsten bekannten Mustern der Ausbreitung von
planetaren Wellen.

El-Nino Southern Oszillation (ENSO) und Madden-Julian-Oszillation
(MJO):
Erklärung ENSO: siehe ?Weitere Informationen zum Thema?
Erklärung MJO: siehe ?Weitere Informationen zum Thema?

Ein wichtiger Baustein ist auch die niederfrequente ENSO (Bild_5) im
Pazifik, die aktuell im La Nina Zustand verweilt, wenngleich nur im
Bereich einer schwachen La Nina mit bereits vom La Nina Zustand
abweichenden Bedingungen in der oberen Troposphäre. Eine allmähliche
Abschwächung der kalten ENSO ist ab dem Jahreswechsel zu erwarten.
Auf den SPV wirkt sich eine kalten ENSO eher verstärkend aus.

Darin eingebettet wird die Verlagerung der Madden-Julian-Oszillation
(MJO) verfolgt, die entweder konstruktiv oder destruktiv mit der ENSO
interagiert. Ausgehend von diesen tropischen Konvektionsbereichen
werden je nach Intensität und Phase auf troposphärischen Pfaden
Rossbywellen in die Außertropen geführt, die nicht selten im Atlantik
per Fernwirkung (fachlich: ?downstream development?) auch die
Nordatlantische Oszillation (NAO) beeinflussen. Aktuell geht die MJO
durch Phase 6 in Phase 7, allerdings mit geringer Intensität. Die
Fernwirkung für den europäischen Sektor wäre bei Passage dieser
MJO-Phasen eigentlich eine blockierungsfreudige. Allerdings darf der
Einfluss dieser MJO dank rascher Abschwächung angezweifelt werden.
Interessant könnte es werden, sollte sich im Dezember eine neue Welle
in diesem Phasenbereich (6 bis 8) entwickeln, was von einzelnen
Modellen angedeutet wird.

Globale Impulsbilanz:

Hier geht es stark vereinfacht um den Impulstransfer zwischen
Atmosphäre und der Landmasse. Konvektion nahe der Tropen verteilt
höheren Impuls polwärts (variable Drehbewegung der Erde am Äquator
und Pol), der wiederum entlang bestimmter Gebirgszüge zurückgeführt
wird (eng. ?mountain bzw. friction torques?). Ein Beispiel ist der
Himalaya. Dieser Energietransfer kann Einfluss auf die Intensität des
Höhenjets haben bzw. die Wahrscheinlichkeit für blockierende
Hochdruckgebiete beeinflussen. Seit Mitte Oktober fand nach Monaten
der negativen globalen Impulsbilanz (klassisch bei sich entwickelnden
La Nina Ereignissen) ein rasanter Anstieg in neutrale Gefilde statt,
was sich aktuell günstig auf weit nördlich ansetzenden
Blockierungslagen ausgewirkt hat.

Fügen wir all das Gesagte zusammen und versuchen daraus ein Bild für
die nun anstehende Entwicklung im subsaisonalen Vorhersagebereich
(Dezember/Januar) abzuleiten.

Der sich abschwächende Polarwirbel in der Stratosphäre ist für
Winterfans schon mal ein guter Anfang. Günstig wäre ein ?major
warming?, was uns für Mitte/Ende Dezember eine gute Ausgangslage für
Kaltlufteinbrüche bescheren könnte (sollte die Kopplung
Stratosphäre-Troposphäre gelingen). Es sieht aber auch im Ensemble
vom EZMWF (dem IFS-ENS) eher nach einem ?minor warming? aus, somit
ohne Windumkehr und daher weiter anfällig für Störungen aus den
außertropischen Bereichen. In dem Fall wäre die treibende Kraft für
eventuelle Blockierungslagen eher aus der Troposphäre heraus zu
erwarten, was aber mit einer komplexen und nur schwer zu erfassenden
Dynamik innerhalb der Troposphäre einhergeht. Zusätzlich erfolgt auch
ein komplexes Zusammenspiel mit der tropischen Konvektion und/oder
mit der Wasseroberflächentemperatur der Weltmeere.

In der nun anstehenden Arbeitswoche steht ja in Deutschland eine
nachhaltige Abkühlung bevor. Deren Antrieb scheint einerseits aus der
Troposphäre zu kommen, andererseits spielt sicherlich auch die
jüngste Entwicklung innerhalb der Stratosphäre eine Rolle, wo eine
Erwärmung im kanadischen Sektor beobachtet wurde, auch als ?canadian
warming? bekannt. Die dadurch induzierte und weit zum Pol reichende
blockierende Antizyklone über Grönland sorgt nächste Woche für eine
cross-polare Nordströmung mit Schneeoptionen im Bergland und
nass-kalter Tieflandwitterung. Vielleicht kann man auch im Tiefland
hier und da in den Genuss von etwas Nassschneefall kommen, wo sich
aber Tageszeit und Niederschlagsintensität günstig überlappen müssen.
Beeindruckend ist das nordhemisphärische Strömungsmuster allemal,
allerdings auch die abschwächende Wirkung der modifizierend wirkenden
Oberflächentemperatur der Nordmeere.

Die jüngste subsaisonale Vorhersage des EZMWF für Dezember 2025
scheint die blockierungsfreudigen Signale sowohl aus der Troposphäre,
aber auch aus der Stratosphäre zu erkennen. Es wird im Verlauf des
Dezembers (Mitte/Ende Dezember) ein ansteigendes Potenzial für eine
blockierende Antizyklone entweder im grönländischen oder
skandinavischen Sektor hervorgehoben. Einhergehend mit dieser
Blockierung im IFS-ENS gehen auch die subsaisonalen
Temperaturvorhersagen für Mitteleuropa ab Mitte Dezember etwas
zurück.

Fassen wir also zusammen: Einige der genannten Bausteine sehen im
Vergleich zu den letzten Jahren günstiger aus für winterliche
Intermezzi ab Mitte Dezember bis in den Januar hinein. Auch wenn aus
aktueller Sicht besonders Kanada und weite Bereiche der USA von
dieser Störung des Stratosphärenwirbels durch Kaltluft und Schnee zu
?profitieren? scheinen, so bleibt für uns wenigsten das Potenzial.
Jetzt gilt es erst einmal die zeitnah erfolgende Störung beim SPV zu
verfolgen.

Zum Schluss machen wir es uns aber einfach und schauen, wie sich
vergangene Winter mit einer östlichen QBO, einer kühlen/neutralen
ENSO oder aber einer La Nina und weiteren, mit der aktuellen
Ausgangslage übereinstimmenden Merkmalen entwickelt haben. Es fließen
zusätzlich die Ausarbeitungen von Gray et. al. (2004) mit ein [siehe
?Weitere Informationen zum Thema?].

Der Einstieg in den Winter 2025/26 steht recht gut im Einklang mit
ähnlichen Wintern, die zum Beginn (Dezember/Januar) häufig negative
AO/NAO Werte aufwiesen. Dies war in diesem Herbst (über September und
Oktober gemittelt) bereits der Fall. In der jüngsten subsaisonalen
Vorhersage des ECMWF wird Ende Dezember im Bereich der Aleuten und
über Grönland eine positive Abweichung beim Bodendruck angezeigt.
Dies deckt sich auch mit einem statistisch recht frühen Auftreten
einer Erwärmung/Störung des Stratosphärenwirbels in diesen Jahren.

Im Verlauf der jeweiligen Winter (ab dem Februar) erkennt man jedoch
eine sich immer weiter ausweitende negative Bodendruckanomalie im
Bereich des Nordpols, was sich auch mit einem stetig verstärkenden
SPV deckt. Dieses Muster zeichnet sich auch in den jüngsten
europäischen Saisonalvorhersagen ansatzweise ab, wenngleich hier
natürlich noch hohe Unsicherheiten vorhanden sind. Hierfür wurde das
C3S Multisystemvorhersage von Copernicus betrachtet.
Die Stärkung des SPV würde durch ein La Nina Ereignis gestützt
werden, das einen kräftigeren und stabilen Polarwirbel (statistisch)
fördert, der allerdings durch die östliche QBO immer wieder
angegriffen werden kann. Daher sehen auch die Saisonalvorhersagen für
Kanada und Teile der nördlichen USA negative Temperaturabweichungen
vorher, was deckungsgleich ist mit einem schwächelnden Aleutentief
(La Nina) und möglicherweise wiederholt auftretenden
Wellenreflexionen entlang des SPV. Letztere würden den Bodendruck im
Bereich der Aleuten ebenfalls tendenziell erhöhen. Kanada, am Ostrand
dieser positiven Druckanomalie gelegen, wäre daher gut positioniert
für wiederholt auftretende, intensive Kaltluftausbrüche.

Die genannten Tendenzen fußen auf vergangene Ereignisse, auf den
Istzustand und auf die jüngsten (sub)saisonalen Vorhersagen. Diese
Abschätzungen sind aber unzähligen Überraschungen unterworfen,
ausgelöst durch Wechselwirkungen der einzelnen Bausteine (z.B. La
Nina und QBO), Überraschungen aus Richtung der Stratosphäre und einer
dynamischen Troposphäre im Wechselspiel mit den warmen
Meeresoberflächen. Diese Komplexität lässt einerseits nur
Tendenzabschätzungen zu, zeigt aber auch, dass lineare Aussagen
(schwacher SPV = eisige Kälte) ebenso kaum zielführend sind.
Abgerechnet wird dann Ende Februar, wenn der meteorologische Winter
2025/26 Geschichte ist.


Mag.rer.nat. Helge Tuschy

Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 16.11.2025

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