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Wissenschaft kompakt

Der geostrophische Wind - in kleiner, "appetitlicher" Portion



Das Thema des Tages geht heute der Frage nach, ob und inwieweit der
Wind von der geographischen Breite abhängt.



In Mitteleuropa hat sich wettertechnisch aktuell ja etwas breit
gemacht, was sich nicht nur wie Winter anfühlt, sondern was in
höheren Lagen auch wie Winter aussieht - auch wenn der Blick auf den
Kalender etwas anderes verspricht. Immerhin kann man aber
konstatieren, dass sich über Mitteleuropa der Wind etwas beruhigt
hat. Dieser ist in den vergangenen Tagen ja mitunter auch recht
ruppig unterwegs gewesen.

Wenn man den Atlantik, das Mittelmeer oder auch das Nordmeer mit in
die Betrachtung einbezieht, so zeigen sich aber auch aktuell einige
Ecken, in denen der Wind auf die Tube drückt. Die beigefügte
Abbildung zeigt für den gestrigen Mittwochmorgen in Gelb-, Orange-
und Brauntönen Gebiete mit stärkerer Windentwicklung (Modelldaten aus
ICON). Diesbezüglich fällt die Nordsee ins Auge, aber auch der
Nordatlantik südöstlich von Grönland oder das westliche Mittelmeer
(die beiden letztgenannten Gebiete sind dabei mit einem roten Kreis
markiert). Im Mittelmeer ist es übrigens der Mistral - das
bekannteste Windphänomen im bzw. am westlichen Mittelmeer - der mit
voller Sturmstärke aus dem Rhônetal in den Löwengolf weht. Weitere
Informationen zum Mistral stehen übrigens im Thema des Tages vom
5.11.2022 zur Verfügung.

Neben den Starkwindfeldern sind in der Karte noch einige Hoch- und
Tiefdruckzentren sowie die Isobaren, also die Linien gleichen
Luftdrucks zu erkennen. Auffällig ist, dass der Wind immer dort
kräftiger ausfällt, wo die Isobaren relativ eng zusammen liegen. Man
sagt auch der Druckgradient, also der Druckunterschied in einer
vorher festgelegten Entfernung, ist hoch. Und dieser Druckgradient
ist oftmals, aber nicht immer der Auslöser für starken Wind.

Bei genauem hinsehen fällt auf: Obwohl der Mistral sogar etwas
stärker weht als der namenlose Wind südöstlich von Grönland, ist der
Druckgradient über dem westlichen Mittelmeer ein wenig schwächer
ausgeprägt als auf dem Atlantik. Die entsprechenden Zahlenwerte
finden Sie in den jeweiligen Erklärungskästen. Der Isobarenabstand
bezieht sich dabei auf einen Druckunterschied von 3 Hektopascal und
wurde im Bereich des stärksten Windes ermittelt.

Ist das ein Widerspruch zu der Aussage, dass der Wind vom Luftdruck
abhängt? Nein, es gibt natürlich eine Erklärung. Sie wird von der
Formel für den geostrophischen Wind geliefert, hier in einer etwas
abgespeckten und damit appetitlicheren (oder einfach nur leichter
verdaulichen) Form. Der geostrophische Wind stellt sich ein, wenn nur
der Druckgradient und die von der Erdrotation verursachte
Corioliskraft wirken. In der hier betrachteten zweidimensionalen Form
lautet sie
v = *
Diese Formel ist weit weniger kompliziert als sie auf den ersten
Blick aussieht. Der Wind, hier mit v abgekürzt, ist proportional zu
, dem letzten Faktor der Gleichung. Und der stellt letztendlich
nichts anderes als den Druckgradienten dar, also die Änderung des
Druckes p entlang einer Strecke x. Ist der Faktor groß, weht auch der
Wind v entsprechend stark. Und wenn zunimmt bzw. abnimmt, nimmt auch
der Wind zu oder ab.

Im vorderen Teil der Gleichung stehen die drei physikalischen bzw.
meteorologischen Größen ? (Rho), ? (Omega) und sin? (Sinus Phi). Sie
stehen (zusammen mit dem Faktor 2, der hier im Weiteren unterschlagen
wird) alle im Nenner eines Bruchs. Mit anderen Worten: Wenn diese
Werte anwachsen, wird der Wert des Bruches kleiner und der Wind nimmt
- von seinem Betrag her - ab.

Bei der Größe ? handelt es sich um die Winkelgeschwindigkeit der
Erde, ein Maß für deren Rotationsgeschwindigkeit. Sie ist
glücklicherweise konstant, sonst hätten wir zu den aktuell ohnehin
schon großen Problemen auf unserem Planeten noch einige mehr zu
meistern. Die zweite Größe ist ?, die Luftdichte. Ist sie hoch, etwa
auf der Erdoberfläche, so ist der Wind relativ schwach. Ist sie
gering, etwa in größeren Höhen, so ist der Wind kräftiger. Für unsere
Fragestellung aber ist sin? die entscheidende Größe. Dabei ist ?
selbst der Winkel der jeweiligen geographischen Breite, d.h. ? ist am
Äquator 0°, am Nordpol 90° groß. Daraus ergibt sich für sin? am
Äquator der Wert null, am Nordpol aber der Wert eins - und sin? wird
kontinuierlich größer, je weiter man nach Norden zum Pol kommt.

Bezogen auf die Windgeschwindigkeit lässt sich daraus ableiten, dass
der Wind bei gleichem und bei gleicher Luftdichte ? in höheren
Breiten (also weiter im Norden) schwächer weht als in der Nähe des
Äquators.

Und genau das konnte man auch am gestrigen Mittwoch beobachten.
Obwohl im Bereich des Mistrals der Druckgradient etwas geringer
gewesen ist als über dem Nordatlantik, zeigte sich der Wind dort
schneidiger als im höheren Breiten. Und dieser Effekt ist genau
diesen höheren Breiten geschuldet.

Auf der Südhalbkugel verhält es sich übrigens ähnlich - aber mit
umgekehrtem Vorzeichen. Der Wind wird bei gleichem Druckgradienten
schwächer, je näher man zum Pol kommt. Aber er wird durch die
Erdrotation dort in die andere Richtung abgelenkt. Mathematisch macht
sich dies durch ein "Minus" bemerkbar, das sich über sin? in die
Gleichung "schummelt". Und offensichtlich zeigt sich dies auch daran,
dass auf der Südhalbkugel, im Gegensatz zur Nordhalbkugel, der Wind
im Uhrzeigersinn um Tiefdruckgebiete und entgegen dem Uhrzeigersinn
um Hochdruckgebiete weht.

MSc.-Met. Martin Jonas

Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 25.04.2024

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